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Die Sozialdemokratie handelt europäisch und international

Am Mittwoch, den 3. Mai 2023, übergab der ehemalige Sekretär von BK Bruno Kreisky und frühere EU-Chefverhandler und Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina, Wolfgang Petritsch, ein Papier an Andreas Babler, um einen Diskussionsprozess über internationale Politik in der SPÖ in Gang zu setzen. Petritsch äußerte die Hoffnung, gemeinsam mit Babler, dem Kandidaten für den SPÖ-Vorsitz, einen Diskussionsprozess zu starten, "um endlich die leider lange vernachlässigte europäische und internationale Vernetzung und Ausrichtung der SPÖ zu stärken". 

Unterzeichnet wurde das Papier von

 

  • Wolfgang Petritsch, Präsident des Österreichischen Instituts für internationale Politik (OIIP)

  • Bot.in Eva Nowotny, außenpolitische Beraterin im Kabinett BK Vranitzky, ehem. Botschafterin in Frankreich, UK und den USA

  • Thomas Nowotny, u.a. Sekretär im Kabinett Kreisky

  • Bot. Georg Lennkh, ehem. österreichischer Sonderbotschafter für Afrika und EU-Sonderbeauftragter im Tschad

  • Bot. Peter Moser, ehem. Botschafter u.a. in der Republik Korea, Japan und den USA

  • Helfried Carl, ehem. Büroleiter von Nationalratspräsidentin Prammer und ehem. Botschafter in der Slowakei

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Das Papier im Wortlaut

Die Sozialdemokratie hat stets europäisch und international gehandelt. Dieser Anspruch ist heute wichtiger denn je, denn Globalisierung und die EU-Mitgliedschaft machen den Kampf für die Rechte der Arbeitnehmer:innen über die nationalen Grenzen hinaus immer dringlicher. In den letzten Jahrzehnten ist diese Vernetzung bei Weitem nicht genügend betrieben worden. Auf nationale Erfolge zu setzen, führt uns jedoch mittelfristig unausweichlich in eine politische Sackgasse. Eine Sozialdemokratische Partei unterstützt ihre Genoss:innen weltweit. Das geht einher mit einer aktiven Beteiligung an internationaler Parteiarbeit, sowie mit der solidarischen  Unterstützung unserer Schwesterparteien, sowohl in Oppositionszeiten als auch in Regierungsverantwortung. 

1. Die EU kann Globalisierung bändigen

Die Globalisierung hat unsere Welt verändert. Anders als in den 1960er Jahren haben Staaten gegenüber den wirtschaftlichen Prozessen nicht mehr die Oberhand. Heute sind Wirtschaft und Finanzindustrie transnational organisiert und vernetzt. Nationalstaaten können unter den Bedingungen der Globalisierung kaum mehr regulierend eingreifen, ohne von der Kapitalseite abgestraft zu werden: Entweder die Arbeitnehmer:innen akzeptieren die Forderungen des Kapitals – oder es sucht sich ein anderes Land und wandert ab.

Wir haben den Primat der Politik verloren und können ihn auf Ebene der Nationalstaaten nicht vollständig zurückgewinnen. Den Finanzmarkt kann man nicht auf österreichischer Ebene regulieren. Maßnahmen gegen den Klimawandel oder die Energiewende kann man nicht allein auf österreichischer Ebene umsetzen. Dazu braucht man einen größeren Handlungsraum. Genau diesen haben wir in Form der Europäischen Union. Die EU gehört mit China und den USA zu den größten Wirtschaftsräumen der Welt. Auf dieser globalen Ebene kann demokratisches Gestalten im 21. Jahrhundert wieder handlungsfähig werden.

Menschen wollen nicht länger Spielbälle der globalisierten Wirtschaft und Finanzindustrie sein. Die Pandemie und Russlands Krieg haben die Abhängigkeit Europas deutlich gemacht und gezeigt, dass es ein Fehler war, den Weltmarkt alles regeln zu lassen. Die derzeitige Richtung der Europäischen Union setzt darauf, das vorherrschende globale Wirtschaftssystem mittels  politischer Steuerung zu bändigen. Zum Beispiel konnte man sich auf einheitliche Regeln für Mindestlöhne und auf Arbeitsrechte der LKW-Fahrer:innen einigen, die weltweite Mindest-Umsatzsteuer wurde durch die EU koordiniert und durch die EU-Taxonomie wurde ein erster Schritt getätigt, die Unternehmen in die Verantwortung für Nachhaltigkeit zu nehmen. Hinzu kommen zwei Vorhaben, deren Umsetzung zügig und mutig erfolgen müssen:  Das Lieferkettengesetz, mit dem Unternehmen künftig hinsichtlich der Einhaltung von Standards bei Menschenrechten oder Umweltschutz überprüft werden können, sowie die CO2-Grenzausgleichssteuer.

Die EU-Kommission setzte zuletzt auch durchaus progressiv Initiativen bei der Gestaltung des volkswirtschaftlichen Rahmens der Union. Mit einer demokratischen Weiterentwicklung der Institutionen, der Stärkung des Parlaments und der europaweiten Mobilisierung von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen können wir das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Demokratie auf europäischer Ebene verschieben.

2. Mit der EU besteht die Möglichkeit auf sozialen Fortschritt.

Wir müssen die Europäische Union in Richtung Sozialunion fortentwickeln. Das bedeutet auch eine Reform der Europäischen Verträge. Selbst der französische Staatspräsident Emmanuel Macron fordert dies, weil Europa kein “seelenloser Markt” sein dürfe, wie er treffend feststellt. Die neoliberalen Sparprogramme der letzten Jahrzehnte haben viel Schaden angerichtet und die südeuropäischen Länder in eine tiefe Rezession gezwungen. Arbeitslosigkeit und Armut haben sich verschlimmert und damit wurde auch der Rechtspopulismus in ganz Europa gestärkt. Mittelfristig müssen wir v.a. eine Reform der Fiskalregeln anstreben. Wir brauchen ein gemeinsames europäisches Recht, das ausreichende Investitionen in die soziale und ökologische Transformation ermöglicht und wesentliche Bereiche der öffentlichen Infrastruktur und öffentliche Güter vom Wettbewerbsdruck ausnimmt.

Jegliche Stärkung der EU muss jedenfalls mit ihrer weiteren Demokratisierung einhergehen. Die Rolle des Europäischen Parlaments und der europaweiten Bürgerbeteiligungsverfahren muss gegenüber der Europäischen Kommission und dem Europäischen Rat gestärkt werden, vor allem in Form eines gesetzgeberischen Initiativrechts.

 

3. Sicherheitspolitische Strategie die über das Militärische weit hinaus reicht.

Die sicherheitspolitische Lage hat sich in den letzten Jahren dramatisch geändert. Wir brauchen eine neue sicherheitspolitische Strategie, die anerkennt, dass der außenpolitische Sicherheitsbegriff weit über das rein Militärische hinausgeht. Der völkerrechtwidrige Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine hat dies drastisch dokumentiert.. Die Bedrohungen im 21. Jahrhundert umfassen ein breites Spektrum, das von hybriden Bedrohungen, wie etwa gezielter Fehlinformation, Cyberangriffen oder Blackouts, bis zu Einschränkung des demokratischen Raumes, der Menschenrechte, der Schwächung des Multilateralismus und der internationalen Rechtsordnung und des globalen Abrüstungsregimes, sowie der Klimakrise, globalen Pandemien u.v.m. reicht. Wachsende Instabilität und globale Flucht- und Migrationsbewegungen sind das Resultat dieser multiplen Sicherheitsbedrohungen. 

 

Militärische Sicherheit muss daher eng mit einem am Konzept der “Human Security” orientierten Sicherheitsbegriff verknüpft werden. Dazu müssen alle relevanten Akteure - vom Bundesheer, der Polizei, Justiz und Zoll, aber insbesondere auch die Diplomatie - ihre internationale Vernetzung und Kooperation im Rahmen der Vereinten Nationen, der EU oder der OSZE ausbauen. Eine bloße Aufrüstung des Bundesheeres ohne vorherige umfassende Einschätzung zukünftiger sicherheitspolitischen Herausforderungen ist hingegen kein verantwortungsvoller Umgang mit den Sicherheitsinteressen und den Steuermitteln der Republik. Österreich kann und soll im Rahmen seiner Neutralität durch einen glaubwürdigen Fokus auf einen breiten Sicherheitsbegriff einen wichtigen und solidarischen Beitrag zur Stärkung der europäischen und internationalen Sicherheit leisten.

 

4. Aktive Neutralitätspolitik

 

Wir bekennen uns zu einer aktiven, gestaltenden Außen- und Friedenspolitik im Einklang mit unserer Neutralität, die die Möglichkeiten nutzt, die uns als EU-Mitgliedstaat zur Verfügung stehen. Im Einklang mit den von uns mitgestalteten Beschlüssen der EU muss Österreich sich aktiver bei der Vermittlung zwischen Konfliktparteien einbringen. Unsere Außenpolitik fördert die Durchsetzung des Völkerrechts und eine Stärkung der multilateralen Institutionen, insbesondere der UNO, der OSZE und des Europarats, mit besonderer Schwerpunktsetzung auf das humanitäre Völkerrecht, den Schutz der Menschenrechte und der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten sowie von Journalist:innen. Unser Ziel muss eine Forcierung der Abrüstung und Nichtverbreitung, insbesondere von Massenvernichtungswaffen ebenso sein wie die Stärkung der demokratischen Resilienz, des zivilen Krisenmanagements, von Konfliktprävention, Mediation und friedenserhaltenden Operationen.

Starke globale Institutionen sind eine unverzichtbare Antwort auf globale Herausforderungen wie Klimakrise, Pandemien, globale Aufrüstung und Steuerflucht. In diesem Zusammenhang verurteilen wir auch den Ausstieg der türkis-blauen Bundesregierung Kurz  aus den Verhandlungen zum globalen Pakt der Vereinten Nationen für sichere, geordnete und reguläre Migration - Österreich, das federführend an seiner Ausarbeitung beteiligt gewesen ist, muss dem Pakt ehestmöglich beitreten und aktiv an seiner Umsetzung mitwirken.

 

Auch im Rahmen internationaler Organisationen sowie gemeinsam mit und in der EU wollen wir uns für eine vorausschauende Politik einsetzen, die globale Ungleichheiten und andere Konfliktursachen bekämpft und auch allfälligen militärischen Gegnern ermöglicht, aus einer Spirale der Aggression auszusteigen. Das seit Jahrzehnten verfehlte Ziel von Budgetmitteln iHv 0,7% des BIP für Entwicklungszusammenarbeit muss für eine völlig neu gestaltete Kooperation mit den Ländern des globalen Südens noch in der nächsten Legislaturperiode erreicht werden. Dabei sollte der europäische Nachbarkontinent Afrika besondere Aufmerksamkeit erhalten. Auch die übrigen Budgetmittel des Außenministeriums müssen unseren ambitionierten Zielen gemäß wesentlich aufgestockt werden.

 

5. Maximale Unterstützung der Ukraine

 

Unser unverbrüchliches Bekenntnis zum Völkerrecht bedeutet auch die Anerkennung und maximale Unterstützung der Ukraine in ihrem legitimen Kampf gegen die russische Aggression im Rahmen der neutralitätsrechtlichen Möglichkeiten. Gleichzeitig wollen wir natürlich eine möglichst rasche und friedliche Lösung dieser schrecklichen Konfrontation, die unerträgliche zivile und militärische Opfer fordert. Im Einklang mit den von uns mitgestalteten Beschlüssen der EU muss Österreich sich in die Diskussion und die Umsetzung einer Strategie einbringen, wie durch Vermittlung sowie der Schaffung vertrauensbildender Maßnahmen ein Ende des Krieges erreicht werden kann.

Sicherheit auf unserem Kontinent muss pan-europäisch und damit auch über die Grenzen der EU hinausgedacht werden. Die Beilegung des Konflikts sollte jedoch nicht zur Infragestellung des Fundaments der sicherheitspolitischen Architektur in Europa, nämlich der schon im Kalten Krieg durch die Helsinki-Schlussakte 1975 garantierten Unverletzlichkeit der Grenzen führen. Dies liegt auch im Eigeninteresse eines Staates von der Größe Österreichs, dessen Sicherheitsfundament auf der Einhaltung der grundlegenden Regeln des Völkerrechts beruht.

Die Unterzeichner:innen:

Ges. Mag. Philipp Agathonos

Mag. Helfried Carl, MA (ehem. Bot.)

Mag.a Ilia Dib (ehem. Internationale Sekretärin SPÖ)

Mag. Dr. Nikolaus Kowall (Hochschullehrer)

Bot. i.R. Dr. Georg Lennkh

Bot. i.R. Dr. Peter Moser

Bot. i.R. Dr.in Eva Nowotny

Doz. Dr. Thomas Nowotny

Bot. i.R. Dr. Wolfgang Petritsch

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